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Texte

Flechten

​

Das Zerbrechen der Flechten

war unsichtbar

denn es geschah auf der kleinsten Ebene

messbar, nicht spürbar

nicht wie Verliebtsein

Spaltend, kräuslend, krümelnd

Lautlos wie das Lebendigsein an sich

der Zuckerguss blättert von der Rinde ab

die Entedelung des Korks

und wir liegen nur da

und schweigen

weil wir nichts von den Flechten wissen

doch selbst wenn…

nein, nein, sagst du plötzlich, das war die Amsel

und ich weiss nicht, wovon du redest 

und denk jetzt doch an Flechten

keine Tiere, mehr ein Zusammenschluss

kleinster, Wesen

Denn sie nennen es nicht Liebe 

unterm Mikroskop

heisst es Symbiose

Überlebensstrategie

Welche Amsel?

frage ich dich 

und du pfeifst

Zuerst denk ich, du machst einen Vogel nach

doch irgendwann ist es ein Lied, glaube ich

und muss lächeln

weil du mir wahrscheinlich gerade einen kleinen Streich spielst

der geht so unbemerkt vonstatten

wie das Zerbrechen der Flechten

Orca Rage Desaster

(Anfang neues Romanprojekt)

​

“Wie kommst du jetzt darauf”, fragt mich Lex und lacht und ich antworte, ich hätte Dinos schon immer toll gefunden und beginne darum, Dinosauriergeräusche zu machen.
Sie schaut mich zuerst skeptisch an, doch irgendwann stimmt sie mit ein und eine Weile lang sitzen wir einfach so da auf dem Bett in ihrem Zimmer und sind Dinosaurier und von mir aus könnte es eigentlich auch bis zum nächsten Meteoriten so bleiben.
Aber tja, evolution rules, Lex wird irgendwann wieder zum Säugetier, die Saurierschuppen verschwinden, die Haut wird wieder sommerhell und aus dem Grollen werden Worte, die sie ungeschickt ausspricht, als müsste sie Sprache erst wieder lernen.
“Ich habe heut mit Ferdi gesprochen.”
Ich wehre mich noch, doch auch bei mir schlägt die Evolution knallhart rein und macht mich wieder zum Menschen, Homo Sapiens, in dem Fall auch Max genannt, mit einem Hirn, das ganz genau weiss, was ein Ferdi ist und allein beim Klang des Namens Stresshormone ausschüttet.
“Warum rutschst du jetzt weg?”, fragt Lex.
“Ich rutsch doch gar nicht weg.”
“Doch. Schau her.” Sie deutet auf den Bettbezug und misst ab. “So weit bist du gerade weggerutscht.”
Ich stöhne, schliesse die Augen, um sie ungesehen zu verdrehen (übrigens einer der wenigen Vorteile von Menschen gegenüber Dinosauriern, die hatten nämlich keine Augenlider und wenn sie die Augen verdrehten, dann hat das jeder verdammte Lurch gleich gesehen).
Als ich sie wieder öffne, streckt Lex mir noch immer die abgemessene Distanz mit zwei gespreizten Menschenfingern hin.
“Das ist ein Hühnerknochen”, sage ich. “Höchstens.”
“Glückwunsch, Max.”
Einige Forscher:innen sind der Ansicht, dass die Fähigkeit zur Verwendung von Sarkasmus eng mit der Entwicklung des modernen menschlichen Gehirns verbunden sein könnte, und somit vor etwa 200.000 Jahren begann, als der Homo sapiens sich in Afrika entwickelte.
“Also gut, was ist denn jetzt mit Ferdi?”, frage ich. 
Sie wendet sich von mir ab, verschränkt die Arme Homo Sapiens Style und faltet den Mund ganz klein zusammen.
Das Schmollen könnte sich als ein adaptives Verhalten entwickelt haben, das dazu dient, soziale Bindungen zu stärken, Konflikte zu lösen oder Aufmerksamkeit auf unerfüllte Bedürfnisse oder Wünsche zu lenken.
Also gut, soziale Bindungen stärken, let’s go.
“Naa, was ist jetzt”, frage ich freundlich und sozial, “erzähl doch, ich hör dir gut zu”.
“So nicht.”
“Wie so nicht?”
“So nicht, Max.”
“Bist du beleidigt?”
“Warum wertest du das jetzt so ab?”
“Was werte ich ab, Lex?”
“Dass es mich verletzt, wie du reagiert hast, Max.”
“Also gut. Es tut mir leid. Erzähl. Bitte.”
Sie nimmt den Laptop auf ihren Schoss und startet eine Doku über Ausserirdische.
“Lex, bitte, ich hab ja gesagt, wir können drüber reden. Ich bin bereit, okay?”
Nichts.
“Komm schon, bitte, reden wir, mach die Doku aus, ich hab die eh schon gesehen.”
“Du hast die alle schon gesehen, Max, du kennst jede einzelne Folge.”
“Und darum wollte ich ja was mit Dinosauriern schauen. Du hast gesagt, du magst Aliens.”
“Gut, dann schauen wir was mit deinen - “
“Nein, bitte, lass die Aliens, mir ist es echt egal, Lex, ich wünschte mir nur, dass sowas wie ein Ferdigespräch nicht völlig aus dem Nichts kommt. “
Irgendwann muss aus Nichts etwas werden. Ein Universum. Ferdigespräche.
“Ja, irgendwie muss ich ja mit dem Thema anfangen.”
“Ja, schon, aber musste das so... gleich kommen, konnte das nicht noch ein bisschen warten?”
“Warten? Worauf warten, Max?”
Zum Beispiel aufs nächste Erdzeitalter, bis wir und all unsere Probleme Erdöl sind.
“Bis ich bereit bin Lex, das haben wir doch vereinbart, bis ich mich bereit fühle, so lang könntest du zum Beispiel warten.”
“Und woher weiss ich, ob du bereit bist, wenn ich nicht damit anfangen darf?”
“Ich weiss doch nicht, vielleicht mit einem... Intro oder so, was weiss ich denn, indem du mich erstmal -”
“Einem Intro?”
Sie schaut mich völlig irritiert an und ich schau sie genau so irritiert zurück an. Es liegen grad Jahrmillionen zwischen uns.
“Schau, Max”, beginnt sie dann etwas versöhnlicher, “mich kostete das auch richtig viel Überwindung, dieses Gespräch anzufangen.”
“Warum kostete dich das denn Überwindung?”
“Weil ich genau wusste, dass du so reagieren wirst.”
“Wie denn reagieren, ich hör dir ja zu.”
“Dass du wegrutschst.”
“Einen Hühnerknochen weit, das werd ich ja wohl dürfen. Und ausserdem hab ich gesagt, dass ich nichts von Ferdi hören will, und du hast gesagt, dass das für dich -”
“Und geschnaubt hast du auch vorhin.”
“Geschnaubt?”
“Ja, geschnaubt, böse geschnaubt hast du.”
“Da hab ich auch noch Dinosaurier gespielt.”
“Willst du mich -”
“Komm schon, Lex, okay, es tut mir leid, ich hab überreagiert, ich weiss. Schau, ich rück sogar wieder zwei Hühnerknochen näher an dich ran, kein Problem, und schon sind wir ruckizucki wieder -”
“Hau ab, Max!”
Okay, sorry, Grenze. 
“Gut, Lex. Aber was erwartest du denn, wie ich reagiere, wenn du diesen Namen aussprichst, wegrücken ist nicht gut, näherkommen ist nicht gut, soll ich denn wie ein toter Fisch da liegen, als ob mir alles scheissegal wäre?”
Ich öffne den Mund wie ein Karpfen an Land und schaue sie mit toten Fischaugen an.
Sie mustert mich so richtig enttäuscht.
“Lass doch den Scheiss, Max”, sagt sie und klingt gar nicht mal so wütend, mehr furchtbar müde, “Ich hab gesagt, ich will jetzt nicht mehr drüber reden, warum respektierst du das nicht?”
Ich mach wieder Evolution im Schnelldurchlauf, bin noch kurz Fisch, stöhne dann reptilianisch, fuck, ist das anstrengend, die Haut wird dicker, leider aber nur kurz, dann lieg ich wieder in dieser nutzlosen, dünnen Haut da und blinzle sie menschlich ratlos an. Ein letztes Hicksen entflieht mir.
“Aber das ist ja genau das, was ich ja schon andauernd sage, dass ich eben nicht drüber reden will, Lex.”
Ihre Arme sind verschränkt und heben sich schnell von ihrer erregten Atmung.
Ich rutsch vom Bett auf den Teppich, lege eine Hand hinter den Kopf und fühl mich wie ein Rockstar nach Welttournee.
“Hör zu, Lex”, sage ich mit verletzlicher Stimme, mit der ich das Intro von I’d Do Anything For Love damit singen könnte, aber das wär gelogen, also sag ich wieder einfach, dass es mir leidtut, was sicher weniger gelogen ist, aber vielleicht auch nur, weil ich noch nicht genau weiss, was mir leidtut.
“Was tut dir leid?” will Lex jetzt, weil sie jeden Scheiss in meinem Kopf irgendwie von meinem Gesicht ablesen kann (weiterer Vorteil für Dinos: Badass Pokerface).
“Ja, diese Situation hier tut mir leid, mein…Verhalten, okay?”
Sie blickt zu mir runter wie auf ein Beutetier.
“Welches Verhalten?”, fragt sie scharf, die Arme noch immer verschränkt. Plötzlich kommt sie mir furchtbar überlegen vor und wenn sie jetzt gerade wieder zur Urechse geworden ist, dann bin ich ein wehrloser mesozoischer Kleinsäuger und genau so piepse ich jetzt vor mich hin, dass mein defensives Verhalten mir leidtut und ich bin innerlich schon wütend, weil ich weiss, dass ich das gerade nur für den Frieden sage.
“Okay”, sagt sie schliesslich gnädig.
Ich rutsch wieder aufs Bett hoch, will eine Hand friedensstiftend auf ihre Schulter legen, doch etwas sagt mir, dass es keine gute Idee ist.
“Also”, sprech ich ihr freundlich Mut zu, “komm schon, was hast du mit Ferdi gesprochen?”
Sie schaut auf das Godzillaplakat.
“Naa?”, fragte ich, beinahe neckisch, weil ich spür, dass wir gerade wieder bisschen Mojo haben.
“Du spielst”, sagt sie tonlos.
“Was, ich spiele, hallo?!”
“Du meinst es nicht wirklich ernst.”
“Doch, das tue ich, bitte, Lexi, sorry, Lex, ich will’s nur nicht zu ernst machen alles hier, ist ja keine grosse Sache…

…oder? Lex?”
Der panische Blick in ihren Augen. Sie atmet tief aus, versucht, anzuspannen, entspannen, genau wie im Buch, das ich ihr mal geschenkt habe, Das kleine Überlebensbuch, in dem dumme Cartoon-Schafe Übungen machen, um Panikattacken, Stresssymptome und Traumareaktionen zu überwinden und ihren Scheiss wieder auf die Reihe zu kriegen.
Ich rutsche etwas weg, um ihr Raum zu geben.
“Willst du Wasser, frage ich?”
Sie zieht Luft ein, als würde sie gleich tauchen, weit, weit wegtauchen, schüttelt den Kopf und ich sitz da und versuche, nicht zu viel Mitleid zu haben.
Denk an Godzilla, Max.
Lex schaut mit wässrigen Augen zu mir. Ein kleines Massensterben in ihrem Blick. Ich nehm ihre Hand und rufe gedanklich ein neues Erdzeitalter aus. Eines, in dem alles etwas leichter wird. Mit etwas weniger Co2, weniger Missverständnissen und etwas mehr Sauerstoff in der Luft, für Lex zum Atmen und damit die Riesenlibellen wieder kommen.
Aber nichts passiert.
Ob ein neues Erdzeitalter ausgerufen wird, kann nur die Internationale Stratigraphische Kommission (ICS) entscheiden. Die Treffen laufen meist als formelle Sitzungen ab – mit Präsentationen, Debatten und Abstimmungen. Es benötigt mindestens eine Zweidrittelmehrheit, um ein neues Erdzeitalter auszurufen.
Ach, Lex, vielleicht sollten wir es auch öfter wie die Stratigraphische Kommission tun: Die ganz grossen Entscheidungen einfach mal vertagen und endlich wieder das Leben geniessen.

 

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